Von Bodo Krüger Warum wohnen Sie in Linden, Herr Schostok?
Hannover – das ist mehr als Maschsee, Messe und Herrenhausen. Hannover ist speziell. In der neuen Serie „NP-Stadtgespräch“ gehen wir mit Menschen dieser Stadt an für sie ganz besondere Orte. Wir wollen Hannover dort sehen, hören und begreifen. Heute: Mit Oberbürgermeister Stefan Schostok am Steintor und im Ihme-Zentrum.
Es regnet mal wieder in Hannover. Aber wir haben’s nicht weit. Nur kurz vom Medien-Zentrum über den Steintorplatz. Einmal über Hannovers größte Baustelle auf einen Cappuccino ins „Eiscafé Venezia“. Um uns herum Schmutz, Lärm und Chaos. Die Ampeln sind abgeschaltet. Fußgänger suchen unsicher ihren Weg. Desorientierte Autofahrer kurven über die Stadtbahngleise. Stefan Schostok, wie immer im Dienst mit dunklem Anzug und Krawatte, schreitet voran. Im Sommerurlaub, erzählt er, habe er die Piazza von Siena besucht, die angeblich architektonisches Vorbild fürs Steintor gewesen sein soll. Aber, hat Schostok festgestellt, „das sieht in der Toskana doch etwas anders aus“.
Herr Schostok,
nervt es Sie eigentlich auch, dass Hannover gefühlt eine einzige
Baustelle ist?
Ich weiß, dass wir durch die Baumaßnahmen der Infra eine Zeit
großer Belastung haben. Aber ich weiß auch, wie gut das der Stadt
am Ende tun wird. Dieses Quartier ist über viele Jahrzehnte
vernachlässigt worden. Und was hier jetzt passiert, wird die
Qualität spürbar steigern. Aber natürlich nerven mich auch die
vielen Baustellen, die wir gerade in den Sommermonaten hier in der
Stadt haben.
Thema Bürgerbeteiligung
Wen wollen Sie beteiligen? Die Hannoveraner, die Einzelhändler,
die Investoren oder doch eher die Junkies, Dealer und Obdachlosen,
die den Platz nach Ladenschluss bevölkern?
Wir haben beim Thema Wasserstadt Limmer, wo es auch erhebliche
Widerstände in der Bevölkerung gegeben hat, schon sehr positive
Erfahrungen mit einer neuen Bürgerbeteiligung gesammelt. Da ist am
Ende sehr viel Bürgerwillen in die Planungen eingeflossen. Hier in
der City haben wir noch eine andere Situation. Wir haben hier in
kurzer Zeit an mehreren Stellen sehr viel gemacht. Viele
Sanierungsmaßnahmen, die D-Linie, die Hochbahnsteige. Dazu die
Notwendigkeit, mehr Wohnraum zu schaffen. All das hat die Bevölkerung
belastet. Und die Pläne fürs Steintor waren in dieser
Wachstumsphase wohl genau der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen
gebracht hat. Das wollen wir mit neuen Beteiligungsverfahren in
Zukunft besser berücksichtigen.
Thema Sicherheit und Ordnung
Thema Sicherheit und Ordnung
Aber was ist mit Sicherheit und Ordnung? Die Verwahrlosung des
Steintors nach Ladenschluss ist offenkundig. Da unterscheidet sich
das Areal nur wenig von Raschplatz oder Andreas-Hermes-Platz. Würden
Sie einer Frau empfehlen, hier abends alleine über den Platz zu
gehen?
Das Image dieses Quartiers ist bekannt. Und dass zu diesem Image
ein Mangel an Sicherheit und Ordnung gehört, ist auch klar. Ich habe
dem Rat der Stadt gerade ein Konzept für einen städtischen
Ordnungsdienst vorgelegt. Wir wollen in diesem Bereich unser Personal
verfünffachen und die Sicherheitspartnerschaft mit der Polizei
stärken.
Was heißt das konkret? Zehn schwarze Sheriffs, die bewaffnet
durch die Stadt ziehen?
Nein, die rund 50 Sicherheitskräfte sind unbewaffnet. Und die
Dienstkleidung wird dunkelblau sein. Der Ordnungsdienst soll vor
allem im niedrigschwelligen Bereich arbeiten, zum Beispiel bei
Ordnungswidrigkeiten Platzverweise aussprechen.
Haben Sie das Thema Sicherheit in der Vergangenheit unterschätzt?
Die Situation hat sich verändert. Deshalb haben wir gehandelt. So
etwas wie die Trinkerszene am Raschplatz hat es vor fünf oder zehn
Jahren einfach nicht gegeben. Wir werden mit mehr Kooperation unserer
kommunalen und der privaten Sicherheitsdienste professioneller
werden, um so die Probleme in den Griff zu bekommen.
Die Ampelkoalition
Seit der Kommunalwahl gibt es im Rathaus ein Ampelbündnis. Wer
nervt Sie eigentlich mehr – die Grünen oder die FDP?
Mich nervt gar nichts. Ich bin froh, dass wir nach der Wahl so
schnell eine konstruktive Lösung gefunden haben. Wir haben
gesagt, wir machen keine Koalitionsvereinbarung und fangen lieber
gleich an zu arbeiten und stellen uns den Herausforderungen. Das ist
zum Beispiel bei der Verabschiedung des Doppelhaushalts ziemlich gut
gelungen.
Die FDP hat erst mal Ihre städtebaulichen Pläne hier am Steintor
gestoppt.
Damit kann ich leben. Situationen verändern sich. Wir alle haben
den Unmut verstanden!
Und bei den Grünen hat man das Gefühl, sie wollen Hannover
mittelfristig zur Fahrradstadt umbauen?
Das geht natürlich nicht, und das kann ich als Oberbürgermeister
so auch nicht akzeptieren. Die Verkehrspolitik dient den Grünen
momentan zur Profilbildung. Dafür habe ich Verständnis. Aber was
wir brauchen, ist ein ausgewogener Verkehrsmix. Wir müssen den
öffentlichen Personennahverkehr fördern, und wir müssen Radwege
ausbauen. Aber wir müssen auch an den innerstädtischen Einzelhandel
denken und Autofahren weiterhin ermöglichen. Wobei ich persönlich
für die Zukunft vor allem auf E-Mobilität setze.
Der Verkehr
Der Verkehr
Tatsächlich funktioniert der Verkehr in Hannover nicht mehr. Die
Radfahrer werden von den Autos ausgebremst. Und die Autofahrer stehen
entweder im Stau oder an der roten Ampel.
Wir haben in Hannover eines der modernsten Verkehrskonzepte
überhaupt. Und wir haben zum Glück nicht die klimatischen
Probleme wie München oder Stuttgart. Da muss man die Kirche auch mal
im Dorf lassen. Natürlich ist der subjektive Eindruck, den Sie
beschreiben, nicht völlig falsch. Auch ich stehe im Stau, besonders
in der Rush-Hour. Trotzdem bin ich optimistisch, dass wir uns den
Herausforderungen urbaner Mobilität in Hannover erfolgreich stellen
werden.
Schließen Sie ein Diesel-Fahrverbot für Hannover aus?
Auf jeden Fall wollen wir es vermeiden. Wir haben es geschafft,
das Thema Feinstaub in den Griff zu bekommen. Aber wir haben ein
Problem bei den Stickoxiden. Das müssen wir lösen. Aber dafür
brauchen wir auch die Unterstützung der Bundesregierung. Ich sehe
hier insbesondere ein schweres Versäumnis von Verkehrsminister
Dobrindt. Die Stadt Hannover hat überhaupt nicht das rechtliche
Instrumentarium, eine blaue Plakette zu vergeben oder Straßen zu
sperren. Und was darüber hinaus zur Förderung der E-Mobilität vom
Bund kommt, ist schon sehr dünn.
Die Arbeiten am Steintor Auch das Steintor verändert sich - das zeigt auch unsere Vorher-Nachher-Ansicht.
Thema Flüchtlinge
Wenn wir dieses Gespräch vor einem Jahr geführt hätten, wäre
das Thema Flüchtlinge wahrscheinlich zentral gewesen. Haben wir es
eigentlich geschafft in Hannover?
Wir dürfen die Integration nicht vergessen. Das ist die ganz
große Herausforderung der nächsten Jahre. Wir haben in Hannover
knapp 4000 Flüchtlinge. Für die müssen wir jetzt Bildung und
Ausbildung organisieren. Außerdem haben wir immer noch nicht
genügend Wohnraum, aber Wohnen ist nun mal eine wichtige
Voraussetzung für eigenständige Existenz. Trotzdem haben wir
tatsächlich eine Menge geschafft in Hannover. Wir haben die Menschen
alle vernünftig untergebracht. Es gab bei uns keine Zeltstädte. Und
das ist wirklich eine großartige Leistung der Verwaltung und vieler
engagierter Bürger gewesen.
Dennoch: Die Herausforderung der Integration ist riesig.
Thema Wahlkampf
Wir befinden uns in einem Doppel-Wahlkampf. Glauben Sie, dass
Hannovers Ampel auch ein Modell für Bund oder Land sein kann?
Weder auf Bundes- noch auf Landesebene wird man ohne
Koalitionsvereinbarung auskommen. Aber ich erlebe unser Bündnis als
ausgesprochen erfreulich und konstruktiv, das am Ende immer nach
guten Lösungen für die Menschen in dieser Stadt sucht. Und das
halte ich schon für sehr vorbildlich.
Ministerpräsident Stephan Weil hat seine Mehrheit im Landtag
durch den überraschenden Parteiwechsel einer Grünen zur CDU
verloren. Kann Ihnen etwas Vergleichbares auch im Rathaus passieren?
Ich glaube, dass die Parteien hier sehr stabil sind. Und im
Übrigen haben wir es im Rathaus im Gegensatz zum Landtag mit
ehrenamtlichen Politikern zu tun, die alle einen Beruf ausüben. Da
fällt eine Motivation zum Parteiwechsel schon mal weg.
Thema Ihme-Zentrum Es regnet immer stärker. Dicke Tropfen klatschen auf Schostoks Elektro-Dienstwagen, und wir stehen am Königsworther Platz im Stau. Eigentlich wollten wir jetzt in die Falkenstraße fahren und von dort aus ein wenig durch Linden bummeln. Durch das Quartier, in dem der Oberbürgermeister seit einigen Monaten zu Hause ist. Aber der Spaziergang fällt wegen Starkregen aus. Und so landen wir in den Tiefen des Ihme-Zentrums, das Schostok eine „historische Wunde“ der Stadt nennt.
Herr Schostok,
warum sind Sie nach Linden gezogen?
Ich habe zuletzt in der List gelebt, ich bin der Südstadt
aufgewachsen, und ich habe auch schon in Kirchrode und Kleefeld
gewohnt. Ich bin also ein Kind Hannovers. In Linden habe ich mich
schon als Jugendlicher bei den Jusos und später bei der SPD
politisch engagiert, die Beziehung ist also nicht neu. Jetzt habe ich
eine schöne Altbauwohnung gesucht – und in Linden gefunden. Hinzu
kommt: Ich mag die ganz spezielle Urbanität dieses Stadtteils und
auch die Vielfalt der Kulturen.
Wenn der Oberbürgermeister nach Linden zieht, ist das
Gentrifizierung oder nur Ausdruck seines alternativen Lebensstils?
Ich habe ja keine Wohnung gekauft, sondern bin sehr überzeugter
Mieter. Insofern trifft es Gentrifizierung wohl nicht. Ich freue mich
einfach über die Wohnsituation in Linden. Wir haben hier sehr viel
Grün, wir haben sogar Berge, und ich bin in zwei Minuten an der
Ihme.
Warum sind Sie denn nicht ins Ihme-Zentrum gezogen?
Das Ihme-Zentrum hat auch einen besonderen Charme. Da hat man den
besten Blick über die Stadt. Aber ich habe da einfach keine
Altbauwohnung gefunden.
In Wirklichkeit ist das Ihme-Zentrum ein heruntergekommener
Betonklotz aus dem vergangenen Jahrhundert, der zunehmend verfällt.
Jetzt will angeblich mal wieder ein Investor Geld in die Immobilie
stecken. Wie sieht es hier in zehn Jahren aus?
Das lässt sich nicht so einfach beantworten. Das hängt davon ab,
wie nachhaltig und kreativ dieser Investor mit seinem Investment
umgehen will. Ich führe hier einen Kampf. Und ich verrate kein
Geheimnis, wenn ich sage, dass man mit dem jetzigen Investor sehr
hart verhandeln muss, um zu einem Ergebnis zu kommen. Wie das
aussieht, werden wir in zwei Jahren sehen, wenn erkennbar wird, ob
der Investor zum Beispiel sein Fassadenkonzept realisiert hat.
Langsam verziehen sich die Regenwolken über Linden, aber unten im Parkhaus unter den Stadtwerken haben sich große Pfützen gebildet. Stefan Schostok geht für unser Video-Team unverdrossen vor einem Graffito auf und ab. „Familiäre Stadtatmosphäre“ steht an der Wand. Wir haben den Oberbürgermeister am Ende noch gefragt, ob es auch ganz private Gründe gegeben habe, dass er nach Linden gezogen ist?
Die Antwort: „Was privat ist, soll auch privat bleiben.“