Von Britta Mahrholz (Text) und Christian Behrens (Fotos) Wie gefährlich ist der Sahlkamp, Herr Döring? Hannover – das ist mehr als Maschsee, Messe und Herrenhausen. Hannover ist speziell. In der Serie „NP-Stadtgespräch“ gehen wir mit Menschen dieser Stadt an für sie ganz besondere Orte. Heute: mit dem Polizei-Kontaktbeamten Rainer Döring durch den Sahlkamp.
Videos: Felix Peschke, Filmproduktionsgesellschaft Filmklar, Hannover
Es ist ein
wechselhafter Wintertag. Der Wind ist kalt, es ist ungemütlich. Wir
verlassen die Polizeistation im Tempelhofweg. Rainer Döring (53)
wird uns sein Revier zeigen, das er täglich durchstreift: den
Sahlkamp. Ein Problemviertel.
Als Kontaktbeamter geht der
Oberkommissar aber eher selten bis gar nicht auf Verbrecherjagd. Sein
Job ist es, Ansprechpartner für die Bürger zu sein. Er ist
Vermittler zwischen den Sahlkämpern und der Polizei. Für die
Großen. Und für die Kleinen. Unser Weg führt uns vorbei an der
Kita Wittenberger Straße.
„Hallo, Herr
Döring“, rufen ihm drei winkende Kinder zu. Am
„Stadtteilbauernhof“ legen wir einen Stopp ein. Der 53-Jährige
stellt uns Mini-Schwein „Nelly“ vor, für das er Pate ist.
Er
krault der süßen Sau den Bauch, dann steuern wir unser erstes Ziel
an: die Elmstraße 17. Das höchste Haus im Viertel. Aus dem 17.
Stock will uns Döring den Sahlkamp erklären. So, wie er ihn sieht.
Herr Döring, in den
vergangenen Monaten haben wir von zahlreichen Straftaten hier gehört:
von einer Schießerei im Steigerwaldweg, von einer Messerstecherei in
der Schwarzwaldstraße, von einem Überfall auf einen Pizzaboten in
der Straße Hägewiesen. Wie problematisch ist das Viertel?
Der Sahlkamp ist ein
ganz normaler Stadtteil, der insgesamt gesehen nicht problematischer
ist als andere.
Aber der Sahlkamp
gilt als Brennpunkt…
...der Brennpunkt
umfasst nur einen bestimmten Bereich...
Döring lenkt
unseren Blick auf die Gegend um die General-Wever-Straße,
Schwarzwaldstraße, den Spessartweg, Rhönweg, Steigerwaldweg. Auch
bei wechselhaftem Winterwetter lässt sich gut erkennen, welches
begrenzte Quartier er meint.
Dort wohnen
überdurchschnittlich viele Hartz-IV-Empfänger. Es gibt auch einiges
an Arbeit für die Polizei.
...aber grundsätzlich zu sagen, der ganze
Sahlkamp ist ein Brennpunkt, ist aus meiner Sicht falsch. Hier wohnen
überwiegend Menschen, die überhaupt nicht kriminell sind.
Döring deutet auf
zwei Gegenden, wo von oben die Spitzendächer vieler
Einfamilienhäuser zu sehen sind – das Märchen-Quartier und das
Berliner Quartier. Straße und Wege sind dort nach Fabelwesen und
Geschichten beziehungsweise nach Bezirken der Hauptstadt benannt.
Hier sind Probleme, mit denen sich die Polizei normalerweise
beschäftigen muss, die Ausnahme.
Was läuft hier
schief – im Brennpunkt?
Die Frage kann ich
nicht beantworten. Aber vielleicht müssen hier zu viele Menschen aus
zu vielen Nationen, mit Migrationshintergrund und Hartz-IV-Empfänger
auf zu engem Raum zusammenleben.
Als Kontaktbeamter
kennen Sie natürlich die Pappenheimer gut. Wie gehen Sie mit den
Personen um, die der Polizei Probleme machen?
Ich behandele sie
wie alle anderen auch. Und das wissen sie zu schätzen. Viele kennen
mich noch aus ihrer Zeit in der Grundschule Hägewiesen. Dort bin
ich, um in den ersten beiden Klassen Verkehrserziehung in Theorie und
Praxis zu machen. In Klasse drei und vier geht es um
Kriminalprävention, Straftaten und die Folgen. Wenn dann später
etwas vorgefallen ist und ein Jugendlicher mit seinen Eltern zur
Vernehmung in unserer Dienststelle erscheint, frage ich manchmal: Na,
hast du nicht aufgepasst, was Herr Döring damals in der Klasse
erzählt hat?“
Gibt es Probleme im
Stadtteil, wird reflexartig nach mehr Polizei gerufen. Ende 2017 gab
es die Forderung, dass die Polizeistation Sahlkamp rund um die Uhr -
und nicht nur bis 18 Uhr – besetzt sein soll. Ist das sinnvoll?
Nein. Wenn die
Dienststelle hier bis 18 Uhr besetzt ist, heißt das doch nicht, dass
danach die Polizei im Sahlkamp nicht mehr präsent ist. Die Zeit
zwischen 18 und 6 Uhr wird von den Kollegen des Polizeikommissariats
Lahe abgedeckt. Wenn sie gerufen werden, sind sie da. Den Bürgern zu
vermitteln, dass sich für sie nichts ändert, wenn die Kollegen des
Polizeikommissariats Lahe den Dienst übernehmen, ist sehr schwierig.
Wir verlassen das
höchste Dach im Sahlkamp, machen uns auf dem Weg nach unten.
Warum sind Sie
eigentlich Kontaktbeamter geworden, Herr Döring?
Damals ist eine
Stelle in der Dienststelle in Vahrenheide frei geworden und ich habe
mich einfach beworben. Wenn es mir nicht gefallen hätte, wäre ich
zurück in den Schichtdienst gegangen. Mir gefällt es aber auch fast
15 Jahren noch, Kontaktbeamter im Sahlkamp zu sein.
Welche
Voraussetzungen muss ein Kontaktbeamter mitbringen?
Man braucht einen
gesunden Menschenverstand, ein gutes Bauchgefühl, man muss immer
offen sein für etwas Neues. Und im Laufe der Jahre wächst man auch
in die Aufgabe hinein.
Was zeichnet einen
guten Kontaktbeamten aus?
Ein guter
Kontaktbeamter setzt sich für den Bürger ein. Er ist das Bindeglied
zwischen den Menschen und der Polizei.
Auf dem Weg zu
unserem nächsten Stopp gehen wir vorbei an den Häuserblöcken
zwischen Schwarzwaldstraße und Spessartweg. Wir treffen Hüsnü
Özken. Der 56-Jährige freut sich, Döring zu sehen und sagt über
den 53-Jährigen: „Guter Mann, er ist wie mein Bruder!“ Die
beiden kennen sich lange und schätzen einander. Sie plaudern ein
bisschen, dann verabschieden wir uns und steuern das NaDu Kinderhaus
an. Es ist im Sahlkamp eine wichtige Anlaufstelle, wo Kinder und
Jugendliche pädagogisch betreut werden, wo sie für einen Euro ein
warmes Mittagessen und Hilfe bei den Hausaufgaben bekommen.
Warum kommen Sie als
Kontaktbeamter hierher, Herr Döring?
Mir geht es um das
Vertrauen der Kinder. Die meisten kennen mich schon aus der Kita und
aus der Grundschule. Das Vertrauen, das sie dort zu mir aufgebaut
haben, möchte ich behalten.
Wie oft sind Sie im
NaDu?
Ich versuche, es
einmal in der Woche zu schaffen. Das klappt aber leider nur bedingt,
weil häufig andere dienstliche Belange dazwischen kommen.
Hier gibt es viele
Kinder mit Migrationshintergrund. Oft kommen sie aus Ländern, in
denen die Polizei keinen guten Ruf hat.
Wie treten sie diesen Kinder
als Kontaktbeamter entgegen?
Ich sage ihnen, dass
die Polizei in Deutschland ihr Freund und Helfer ist und es hier
nicht heißt: „Mein Freund, ich helf‘ dir!“ Das Vertrauen ist
wichtig, weil die Kinder der Polizei dann später als Zeugen mal bei
der Aufklärung von Straftaten helfen könnten.
Sie haben ihre
Dienstwaffe dabei, wenn Sie ins NaDu gehen. Was sagen Sie den
Kindern, die sich für Ihre Waffe interessieren?
Vorweg: Ich muss die
Dienstwaffe immer dabei haben, weil ich auf dem Weg zum NaDu auf
Streife bin. Den Kindern bringe ich als erstes bei, dass Waffen doof
und gefährlich sind und dass Polizisten sie haben müssen, um sich
selbst zu verteidigen oder andere Menschen zu beschützen. Ich sage
ihnen auch, dass jeder Polizist froh ist, wenn er seine Waffe nicht
benutzen muss.
Im NaDu werden sie
von den Kindern gefeiert wie ein Popstar. Ist es manchmal auch
anstrengend, wenn man nonstop gefragt ist?
Ja, das ist es auf
der einen Seite. Auf der anderen Seite ist es aber schön zu sehen,
wenn man bei den Kindern und den Mitarbeitern so willkommen ist.
Wenn Sie drei
Wünsche frei hätten, was würden Sie sich für den Sahlkamp und
seinen Bewohnern wünschen?
Ich wünsche mir,
dass alle Menschen hier ihre Konflikte gewaltfrei lösen, freundlich
und respektvoll miteinander umgehen. Ich wünsche mir Frieden für
den Stadtteil und Frieden für die Welt.